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Die Inklusionsmatrix: Das "Zwei-Wege-Prinzip" und das "Zwei-Sinne-Prinzip"

19.06.2023

Spielplätze sollen schöne und unbeschwerte Erlebnisse ermöglichen, Orte der Freude, des Ausprobierens und der Entspannung sein – am besten für alle Menschen und jede Altersgruppe. An dieser Vorstellung richtet sich der »Arbeitskreis Inklusion des Normungsausschuss NA 112-07-01 AA Spielplatzgeräte« aus und stellt eine Matrix für inklusive Spielräume auf. Statt sich, wie bis bislang üblich, auf unterschiedliche Behinderungsarten oder gar auf spezielle Geräte für einzelne Behinderungen zu fokussieren, wendet die Inklusionsmatrix ihren Blick auf Fertigkeiten und Fähigkeiten…

Demnach folgt die Planung eines inklusiven Spielplatzes denselben prinzipiellen Kriterien, wie die eines nicht-inklusiven. Denn: Kinder möchten klettern, schaukeln, rutschen, wippen und gestalten und suchen entsprechend ihrer individuellen Fähig- oder Fertigkeiten Herausforderungen. Die Inklusionsmatrix bewertet demnach einen Spielraum als inklusiv, der vielfältige Angebote macht, die jeder entsprechend seinen Möglichkeiten nutzen kann – unabhängig von einer Behinderung.

»Balanceakt inklusive«. Jeder nach seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Hinter der Seitenwand: Eine Rampe, die berollbar Zugang ermöglicht. Photo: Svenja Thomsen, Just-Hansen-Stiftung

»Balanceakt inklusive«. Jeder nach seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Hinter der Seitenwand: Eine Rampe, die berollbar Zugang ermöglicht. Photo: Svenja Thomsen, Just-Hansen-Stiftung

Natürlich lassen sich Spielgeräte konstruieren, die auf bestimmte Bedürfnisse oder Nutzergruppen zugeschnitten sind, wie beispielsweise spezielle Rollstuhlfahrer-Geräte. Im Grunde jedoch sind für inklusive Spielräume so wenig Spezialgeräte wie möglich wünschenswert; denn zum einen sind diese oft unverhältnismäßig teuer, zum anderen sind sie nur für wenige nutzbar – und das wiederum kann letztlich auch zu Isolation statt zu Integration führen. Diese Überlegungen führen letztendlich zu dem Konzept, schwerpunktmäßig Spielgeräte zu schaffen, die grundsätzlich von möglichst vielen und verschiedenen Menschen genutzt werden können. Ziel sollte sein, dass alle gemeinsam und gleichberechtigt ins Spiel eintauchen, sich gegenseitig helfen und voneinander lernen können.

Einer der wesentlichen Grundanforderungen der Inklusionsmatrix lautet: »Nicht alle müssen alles können, aber für jeden muss ein Angebot vorhanden sein.« Gute Ergebnisse erzielt, wer das Gesamte im Blick behält: Das heißt die Gestaltung eines Spielraumes, die Auswahl der Spielangebote sowie deren Zusammenspiel. Der Spielraum soll ein möglichst breites Spektrum an Erfahrungen ermöglichen und dabei gleichzeitig mehrere Sinne ansprechen…

Voraussetzung für inklusive Spielräume ist Barrierefreiheit, geschaffen durch das »Zwei-Wege-Prinzip« und das »Zwei-Sinne-Prinzip«. Das Zusammenspiel dieser beiden Kategorien eröffnet Nutzenden Auswahlmöglichkeiten (ist ein Zugang beispielsweise sichtbar und tastbar, informiert dies mehr Menschen über ein Spielangebot) sowie die Zugänge selbst. Sind Wege begeh- und berollbar und wird die Information über mögliche Zugänge unterschiedlich weitergegeben, findet und erreicht jeder etwas Passendes zum Spielen.

Das Zwei-Wege-Prinzip: Neben dem einem herausfordernden, ansteigenden Weg, der zudem geneigt und gewellt ist, gibt es auch eine Alternative, die von allen ohne »Gesichtsverlust« gewählt werden kann. Photo: Massstabmensch

Das Zwei-Wege-Prinzip: Neben dem einem herausfordernden, ansteigenden Weg, der zudem geneigt und gewellt ist, gibt es auch eine Alternative, die von allen ohne »Gesichtsverlust« gewählt werden kann. Photo: Massstabmensch

Keine Angst vor Langeweile

Nach dem Behindertengleichstellungsgesetz gelten Anlagen und Gebrauchsgegenstände als »barrierefrei«, wenn sie in allgemein üblicher Weise ohne besondere Erschwernisse und grundsätzlich ohne fremde Hilfe nutzbar sind. Auf Spielplätze übertragen, müssten demnach Kinder jeden Alters und unabhängig von irgendwie gearteten Einschränkungen jedes Spielgerät nutzen können.

Spielgeräte werden jedoch bewusst mit »Zugangsfiltern« geplant und gebaut. Ein Kind soll und darf auf einem Spielplatz nur dorthin gelangen, wo es die Gefahren selbstständig wahrnehmen und beurteilen kann. Dies hängt von Alter, Entwicklungsstand und kognitiven sowie motorischen Fähigkeiten ab. Bei einem Klettergerät erreichen Krabbelkinder beispielsweise eine niedrigere Ebene über eine Rampe, während größere Kinder über Leitern o.ä. auch andere Ebene erklettern können. Abstufungen bieten den Ansporn, sich schrittweise an die nächsthöheren Schwierigkeitsstufen heranzuwagen… Zwar werden nie alle Kinder alle Angebote nutzen können, aber jedes findet auf jedem dieser Spielplätze etwas, »das es kann« und das ihm Spaß macht. So entsteht ein gemeinschaftliches Miteinander – inklusiv, eben.

Berollbare Beläge führen zu den Spielangeboten, die von diesen aus selbstständig erreichbar angeordnet sind, wie hier die Wasser-Matsch-Anlage. Nur Spielangebote, die barrierefrei erreichbar sind, ermöglichen eine Teilhabe aller. Photo: Massstabmensch

Berollbare Beläge führen zu den Spielangeboten, die von diesen aus selbstständig erreichbar angeordnet sind, wie hier die Wasser-Matsch-Anlage. Nur Spielangebote, die barrierefrei erreichbar sind, ermöglichen eine Teilhabe aller. Photo: Massstabmensch

Inklusion, Integration, barrierefrei, behindertengerecht – alles dasselbe?

All diese Begriffe beziehen sich auf einen Themenkomplex, über den sehr unterschiedliche Vorstellungen und Begrifflichkeiten herrschen. Es gibt keine einheitlichen Definitionen. Daher ist, wo immer eine Gruppe von Menschen über gebaute Umwelt und Maßnahmen diskutiert, ein Konsens nur schwer zu erreichen.

Während bei behindertengerecht der Fokus noch darauf lag, etwas spezifisch für eine bestimmte Form von Einschränkung bauen zu müssen (zum Beispiel einen Aufzug in ein Gebäude, wenn ein Rollstuhlfahrer ins Team kam), liegt dem Begriff barrierefrei bereits ein geänderter Blickwinkel zu Grunde: weg von »speziell für Einen« (was ohnehin selten funktioniert), hin zu mehr Nutzen und Komfort für alle. Mit dieser Perspektive wird ein Verwaltungs- oder öffentliches Gebäude so gebaut, dass es von allen Menschen gut genutzt werden kann – eben auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen.

Integration versucht, Menschen die »anders« sind, in das bestehende System zu integrieren, ohne zuvor ein entsprechendes Umfeld beziehungsweise Voraussetzungen für alle zu schaffen. Ein Beispiel: Die Integration von Kindern mit körperlichen Behinderungen in Regelschulen. Das gelingt nur, wenn zuvor auch Strukturen (wie Gebäude, Verwaltung und Denken...) barrierefrei gestaltet sind.

Ein nochmals weiterer Blick liegt dem Konzept von

Inklusion zugrunde: Alle können entsprechend ihren Fähig- und Fertigkeiten teilhaben und frei entscheiden, wie sie was, wo und mit wem tun möchten. Wie dies auf Spielplätzen umgesetzt werden kann, damit befasst sich die Inklusionsmatrix und beschreibt dafür spezielle Kriterien und Voraussetzungen.

Peter Schraml ist

Peter Schraml

Geschäftsführer der Firma »Massstab Mensch – barrierefrei & sicher leben«. Als aktives Mitglied in verschiedenen Normausschüssen, unter anderem als Obmann im Arbeitskreis Inklusion, arbeitet er aktiv an der Gestaltung der Normen mit. Peter Schraml ist Diplom-Ingenieur (FH) und Ausbilder für »Qualifizierte Spielplatzprüfer«. Im Rahmen des planerFORUMs auf der FSB (Internationale Fachmesse für Freiraum, Sport- und Bewegungseinrichtungen / Köln, 24. bis 27. Oktober 2023) hält Peter Schraml zwei Fachvorträge zum Thema »Inklusion«. Text: Gekürzter Nachdruck aus der Fachzeitschrift STADT und RAUM. Mit frdl. Genehmigung des Verlages.

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